Georg Trakl
Vertonungen von Harry Unger
Georg Trakl wurde am 3.Februar 1887 als viertes von insgesamt sechs Kindern in Salzburg geboren. Die Familie gehörte dem gehobenen Bürgertum an.
Er verbrachte seine Kindheit und Jugendzeit in Salzburg, wo er zusammen mit seinen Geschwistern von einer französischen Gouvernante aufgezogen wurde. Die Gouvernante spielte für die Kinder eine wichtige Rolle als Mutterersatz. Sie war strenggläubige Katholikin und brachte den Kindern die französische Sprache bei, ferner las sie mit ihnen häufig französische Literatur und Magazine. Zu dieser Zeit kommt Trakl erstmals mit französischer Literatur in Kontakt, die noch sein späteres Gesamtwerk prägte. Vor allem Einflüsse von Arthur Rimbaud und Charles Baudelaire sind in seinem literarischem Schaffen deutlich zu erkennen.
Zu seiner viereinhalb Jahre jüngeren Schwester Margarethe, genannt Gretl, entwickelte sich eine innige Beziehung. In allen Biographien wird eine inzestuöse Beziehung vermutet. In Trakls Gedichten wird Margarethe Trakl als Fremdlingin und Jünglingin bezeichnet. Eine inzestuöse Beziehung wird im Gedicht Blutschuld angedeutet.
Von 1897 bis 1905 besuchte er das humanistische Gymnasium in Salzburg. Er galt als schlechter Schüler. Trakls erste literarische Versuche erfolgten um 1904, als er sich dem Salzburger Dichterzirkel „Apollo“, später umbenannt in „Minerva“, anschloss.
1905 beendete er seine Schullaufbahn vorzeitig. In diese Zeit fielen auch Trakls erste Experimente mit Drogen. Er begann ein dreijähriges Praktikum in einer Salzburger Apotheke. Durch diese Anstellung war es für ihn leicht, an Rauschmittel zu kommen.
1906 wurden Trakls Theaterstücke "Totentag" und "Fata Morgana" im Salzburger Stadttheater uraufgeführt. Die beiden Einakter fanden aber wenig Anklang. Am 26. Februar 1908 wurde mit "Das Morgenlied" das erste Gedicht Trakls in der Salzburger Volkszeitung veröffentlicht. Im selben Jahr schloss er das Apothekerpraktikum ab und begann in Wien Pharmazie zu studieren. Es folgten weitere Veröffentlichungen, nun auch außerhalb Salzburgs.
Nach dem Tod des Vaters 1910 geriet die Familie in finanzielle Schwierigkeiten. Trakl graduierte dennoch als Magister der Pharmazie und trat kurz danach als Einjährig-Freiwilliger in den Militärdienst bei einer Sanitätsabteilung in Wien ein. Zu dieser Zeit verfiel Trakl immer mehr in Depression und Drogenexzesse. Damals gelang ihm jedoch auch ein dichterischer Durchbruch in eine reifere, schwermütige Lyrik, die sein Werk ab diesem Zeitpunkt charakterisieren sollte. Durch seinen Jugendfreund Erhard Buschbeck lernte Trakl 1912 in Innsbruck seinen großen Förderer Ludwig von Ficker kennen, in dessen renommierter Halbmonatszeitschrift Der Brenner seine Gedichte von nun an regelmäßig veröffentlicht wurden. Außerdem entwickelten sich Bekanntschaften zu einigen wichtigen Personen der österreichischen Literatur- und Künstlerszene, darunter Karl Kraus, Adolf Loos und Oskar Kokoschka.
Trakl litt zunehmend unter Angst und Depression. Zeitweise hatte er nahezu panische Angst vor fremden Menschen, wohl auch mitbedingt durch Alkohol- und Drogenkonsum.
1912 bekam Georg Trakl eine Stelle als Militärmedikamentenbeamter in Wien, die er jedoch nach einigen Wochen wieder aufgab. Nachdem 1913 sein Manuskript Gedichte von einem Leipziger Verlag veröffentlicht worden war, reiste Trakl mit Kraus, Loos und Ficker nach Venedig und hielt Ende des Jahres seine erste und einzige öffentliche Lesung in Innsbruck. Trotz seiner literarischen Erfolge sprach der Dichter von einer „Kette von Krankheit und Verzweiflung“, die sein Leben heimsuche. Im März 1914 reiste Trakl zu seiner erkrankten Schwester Margarethe, die in jenen Tagen eine Fehlgeburt erlitt, nach Berlin. Dort lernte er auch Else Lasker-Schüler kennen, die seiner Schwester ebenfalls Beistand leistete. Wieder in Innsbruck, arbeitete Trakl weiter an seinem zweiten Gedichtband, Sebastian im Traum, den er selbst noch auf den Weg zur Veröffentlichung brachte.
Im August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Trakl wurde als Militärapotheker ins Heer einberufen. Trakl erlebte die Schlacht bei Grodek mit. Dabei hatte er fast einhundert Schwerverwundete unter schlechten Bedingungen allein und ohne zureichendes Material zu versorgen. Trakl hatte keine Möglichkeit, den Sterbenden zu Hilfe zu kommen, was ihn in Verzweiflung stürzte. Trakl erlitt einen Nervenzusammenbruch. Im gleichnamigen Gedicht Grodek verarbeitete seine Kriegserfahrung.
Am Abend des 3. November 1914 starb er in ein Krakauer Militärhospital nach Einnahme einer Überdosis Kokain. Der Gedichtband Sebastian im Traum erschien im Frühjahr 1915 posthum.
Im Werk Trakls überwiegen die Stimmung und die Farben des Herbstes, dunkle Bilder des Abends und der Nacht, des Sterbens, des Todes und des Vergehens. Zwar sind die Gedichte reich an biblisch-religiösen Bezügen, und vielen eignet eine kontemplative Offenheit zur Transzendenz, doch nur selten bricht das Licht der Erlösung in das Dunkel. Die häufige Farbsymbolik (meist Blau – in mehr als der Hälfte aller Gedichte, dann Rot und Braun) diente anfangs der Beschreibung realer Dinge, später waren die Farben oft als eigenständige Metaphern verselbständigt, etwa: „Schwermut blaut im Schoß der Fraun“ (aus: Anblick).
Trakls Gedichte sind in der germanistischen Forschung sehr unterschiedlich gedeutet worden. Manche versuchen sie auf vorgegebene Deutungsmuster rückzubeziehen oder verzichten auf eine Sinnbildung, andere sehen in ihnen metaphorische Modelle ihrer eigenen Konstruktionsprinzipien. Umstritten ist, inwieweit sich Trakls Drogenkonsum auf Form und Inhalt seiner Gedichte ausgewirkt hat. Auch wenn Trakl Drogenabhängigkeit in seinen Gedichten nicht direkt thematisiert hat, zeigen einige Gedichte Anspielungen auf Sucht und Wahnvorstellungen.
Der Frühexpressionismus (bis 1914)
Die meisten kritischen Autoren sind Vertreter bürgerlich-gebildeter Schichten. Der Hintergrund dieses scheinbaren Paradoxons ist die erstarrte Bildung, d. h., es wurden Ideale gelehrt, die schon lange nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmten. Diese Widersprüche fielen der Jugend auf und verunsicherten ihre persönlichen Wertvorstellungen. So kam es, dass die Karriere verdrängt wurde und sich die neuen Künstler entweder als Verkünder einer neuen Zeit verstanden oder sie sich einfach nur von Konventionen befreien wollten.
Als erste Vertreter des Expressionismus gelten u. a. die Zeitschrift Der Sturm (1910–1932), Der Brenner (1910–1954) von Ludwig von Ficker, Die Aktion (1911–1932) von Franz Pfemfert oder Jakob van Hoddis, der im Gedicht Weltende (1911) durch eine Sukzession (Abfolge) von Bildern die Dynamik und Zerrissenheit des Großstadtlebens beschreibt.
Der Expressionismus als experimentell orientierte Strömung kann als Reaktion einer jungen Generation auf die Wirren der Zeit, die Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelesen werden. Die rasante Entwicklung der Verkehrs- und Kommunikationstechnologien, die zunehmende Verstädterung, das Leben in der Stadt, die von ihr ausgehende Reizüberflutung, deren Kurzlebigkeit und Fluktuation verursachen in der jungen Intelligenz ein Gefühl der Orientierungslosigkeit, der Ohnmacht, Isolation und Entfremdung. Gleichzeitig wird der Trott der Menschen, ihr alltägliches Leben im Rahmen einer konservativ-bürgerlichen Gesellschaft als bedrückend und einengend wahrgenommen. Diese Gefühle werden zum Ausgangspunkt einer neuen künstlerisch-literarischen Bewegung, die radikal mit der Wertorientierung der Väterwelt bricht, um in ihrem literarischen Schaffen das konservative Bürgertum zu provozieren und gegen es aufzubegehren.
Ein zentrales Thema expressionistischer Literatur ist deswegen der Aufbruch, der sich im Verkündigungspathos der Expressionisten widerspiegelt. Das Bewusstsein, sich von politischen, sozialen und ästhetischen Fesseln der Vergangenheit befreien zu müssen, war allen Vertretern dieser literarischen Strömung gemeinsam und äußerte sich in neuartigen Formen und Inhalten.
Auf den mit dem Leben in einer zunehmend urbanisierten und industrialisierten Gesellschaft verbundenen Empfindungen des Verlorenseins, des Ekels vor dem zur Bedeutungslosigkeit verkommenen Trott der Menschen, und der Angst vor der Abhängigkeit von einer fremden übermächtigen Welt, beruht das Verlangen expressionistischer Lyriker, den Untergang dieser inhumanen Welt heraufzubeschwören (siehe Georg Heym: Der Gott der Stadt). Das Bewusstsein, am Ende einer Epoche zu stehen, ist als zentraler Aspekt der neuen Wirklichkeitswahrnehmung einzuordnen, und in einigen Fällen konkretisiert sich dieses allgemeine apokalyptische Bewusstsein in der Vorahnung eines kommenden Krieges (s. Heym: Der Krieg), der als Weg zum Umsturz der Verhältnisse, als Ausweg aus der Öde der Zeit gedeutet und entsprechend herbeigesehnt wurde. Damit ist auch die kollektive Euphorie der Expressionisten zu Beginn des Ersten Weltkriegs zu erklären, man hatte nun die Hoffnung, dass das Ende dieser als krank, öde und banal empfundenen Welt gekommen sei. Angesichts der verheerenden Entwicklung des in einem nie dagewesenen Grade technisierten Krieges wurde die anfängliche Euphorie jedoch bald von Ernüchterung, Grauen und Schrecken abgelöst (s. Trakl: Grodek).
Ein weiteres zentrales Motiv ist das der Großstadt, die als zentraler Wirkungsraum der expressionistischen Literaten gilt. Besonders Berlin rückt in den Fokus des Interesses und kann als Zentrum der expressionistischen Bewegung gedeutet werden. Die massiven, verwirrenden und fluktuierenden Reize der Großstadt, das als eng und bedrückend empfundene Leben in ihr und die Anonymität und Entfremdung als zentraler Aspekt zwischenmenschlicher Beziehungen werden verschieden verarbeitet, die Empfindungen der Angst, Nervosität und Hektik artikulieren sich in Bildern der Verdinglichung (s. Wolfenstein: Städter), mythologischer Projektion des Bedrohlichen (s. Heym: Der Gott der Stadt) oder einer sukzessiven Aneinanderreihung von Eindrücken im parataktischen Sprachmuster (s. Boldt: Auf der Terrasse des Café Josty).
Eng verbunden mit dem Motiv der Großstadt stellt sich der in vielen Gedichten zum Ausdruck kommende Wirklichkeitsverlust der Protagonisten dar. Durch die Vielzahl an Eindrücken, das Tempo der industriellen und urbanen Entwicklung und das dadurch vermittelte Gefühl der Entfremdung kommt es zu einer Dissoziation von Ich und Welt, das Wahrnehmungsganze zerfällt in eine Vielzahl von bedeutungslosen Einzelheiten, die das Lyrische Ich zu einem Ganzen nicht zusammenfügen, sondern nur bruchstückweise wiedergeben kann. Daraus ergeben sich disparate, zusammenhanglose Einzelbilder, parataktische Reihungen von Sätzen, assoziative Strukturen, die zum völligen Verlust des grammatischen Zusammenhalts führen können. Besonders bei August Stramm, dessen Gedichte oftmals wie eine sinn- und zusammenhangslose Aneinanderreihung von jeweils einzeln umbrochenen Wörtern wirken, wird der sich daraus ergebende Bruch mit den traditionellen Formen der Lyrik der vorangegangenen Jahrhunderte deutlich.
Dieser Bruch ist sicher Ausdruck des gesamten Bewusstseins, man wollte sich schon formal von den traditionellen, vorangegangenen Regeln und Gesetzen distanzieren. So gesehen ist das oftmals zu beobachtende parataktische Sprachmuster auch Ausdruck eines Bewusstseins des Sich-Lösens, des Bruchs mit der Väterwelt. Eine Ausnahme machen hier die Gedichte Heyms, der immer die formale Strenge in seinen Gedichten wahrt und viele als Sonett, der strengsten Form lyrischer Ästhetik, verfasste. Um so heftiger kontrastiert der Inhalt des Gedichts mit seiner äußerlichen Form. Mit seinen apokalyptischen, messianisch wirkenden Texten kann Heym als Prototyp des expressionistischen Dichters gelten.
Den wohl radikalsten Bruch mit den Wert- und Moralvorstellungen der vorherigen Generation hat Gottfried Benn vollzogen. In seinen Morgue-Gedichten (z. B.: Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke) thematisiert er das Kranke, Hässliche und Abstoßende mit einer sprachlichen Präzision, die eine provozierende Wende gegen die bürgerlichen Geschmacksnormen darstellt. Der damit induzierte Schock und die Verfremdung sollen konventionelle Ästhetik- und Moralvorstellungen aufbrechen, genügen aber auch dem Anspruch, die ganze Wirklichkeit darzustellen. Die damit geschaffene „Ästhetik des Hässlichen“ stellt auch die Brücke zur Beschäftigung mit Tod und Zerfall dar. Der Zerfall ist ein weiteres zentrales Motiv, er ist auch die literarische Reaktion auf eine als erstarrt und todkrank eingeschätzte Gesellschaft, die dem expressionistischen Lyriker als zerfallend erscheint (s. Benn: Morgue-Gedichte, Heym: Ophelia).
Wie in den bisher genannten Motiven das Moment der Gesellschafts- und Zivilisationskritik immer eine Rolle spielt, so stellt auch die Beschäftigung der Expressionisten mit dem Wahnsinn, mit der Figur des Irren eine Wunschfantasie mit gesellschaftskritischer Komponente dar. Der Wahnsinnige wurde so als Kontrastfigur zum verachteten Bürger in seiner Saturiertheit und Normalität interpretiert, im Ausleben seiner Affekte zerschlägt der Irre die Normen und Werte des Bürgertums und nimmt so den Druck von den unter diesen Normen leidenden Menschen. So ist die Darstellung des Wahnsinns sicher Ausdruck einer Wunschphantasie, gleichzeitig ist sie jedoch realer Hinweis auf die leidende und bedrängte Figur des modernen Ichs in einer herzlosen, konservativ-bürgerlichen Welt (s. Heym: Die Irren; Huelsenbeck Der Idiot).
Weitere Einflüsse kommen aus Barock, Romantik oder lyrisch z. B. durch Arthur Rimbaud hinzu. Poetische Werke waren durch Allegorie, Bildverdichtung und Typisierung gekennzeichnet.
Die Brücke zum Film schlägt Georg Kaise mit dem ersten deutschen Großstadtdrama Von Morgens bis Mitternachts (1920, Verfilmung als kinematographischer Expressionismus 1920). Nach der Erzählung (in Prosa) kommen mit Bühne und Film zunehmend Einakter (z. B. von Oskar Kokoschka) und filmisch umgesetzte Dramaturgie im Stil der 20er und 30er Jahre zum Zug.