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IN DEN NACHMITTAG GEFLÜSTERT

 

Sonne, herbstlich dünn und zag,

Und das Obst fällt von den Bäumen.

Stille wohnt in blauen Räumen

Einen langen Nachmittag.

 

Sterbeklänge von Metall;

Und ein weißes Tier bricht nieder.

Brauner Mädchen rauhe Lieder

Sind verweht im Blätterfall.

 

Stirne Gottes Farben träumt,

Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel.

Schatten drehen sich am Hügel

Von Verwesung schwarz umsäumt.

 

Dämmerung voll Ruh und Wein;

Traurige Guitarren rinnen.

Und zur milden Lampe drinnen

Kehrst du wie im Träume ein.

Die vier Strophen dieses Gedichtes haben jeweils vier Zeilen, jede Zeile hat sieben oder acht Hebungen, das Reimschema der Strophen ist abba. Gleichmaß herrscht und Ruhe im Formalen. Auch auf der Ebene der Bilder dominieren Harmonie und Stille. Die für Trakl charakteristischen Bruchstellen sind mehr noch als in anderen Texten eingebunden, gleichsam versteckt. Ein "weißes Tier" stirbt offensichtlich, es "bricht nieder", von "Metall" dahingestreckt, wir erfahren nicht, ob es sich um eine Schlachtung handelt oder um eine Jagdszene. Und die "Stirne" spürt "Wahnsinn", es gibt "Verwesung" - aber das Gedicht nimmt dies schlicht und gefasst zur Kenntnis, das lyrische Ich kehrt "wie im Traume" am Ende in einen Raum ein, der durch eine "milde Lampe" bestimmt ist, durch "Ruh und Wein". Und damit schließt sich der Kreis zur ersten Strophe, in der es heißt "Stille wohnt in blauen Räumen".

 

Der Nachmittag als Zeit zwischen der Tagesmitte mit dem Sonnenhöchststand und dem Abend mit Dunkelheit ist Thema und Bildgeber dieses Gedichtes, wobei er auch verstanden werden kann als Herbst, Jahreszeit zwischen Sommer und Winter, die gleichfalls Bilder für den Text bereitstellt, etwa "Obst fällt von den Bäumen".

 

Auffallend ist der Einsatz von Farben, anhebend mit den "blauen Räumen", dann fortschreitend in der zweiten Strophe mit einem "weißen Tier" und "braunen Mädchen". In der dritten Strophe erfolgt eine Steigerung zu "Gottes Farben", kippend in "schwarz umsäumt". Worauf die abschließende Strophe in "Dämmerung" und dem Licht einer "milden Lampe" ausklingt in einem farblich nicht bestimmten Traumbild. Meines Erachtens zeigt sich die Bedeutung der Farben in diesem Gedicht - und darüber hinaus für das Gesamtwerk Trakls - in der Gegenüberstellung von "Gottes Farben", in/von denen die "Stirne" träume, und den "Schatten", die sich "Von Verwesung schwarz umsäumt" zeigen. Verwesung führt den Farbenkreis der Schöpfung zurück in schwarzes Nichts. Doch das träumende Subjekt, sich selbst als "Du" ansprechend, könnte diese Farben bewahren, wie es die dritte Strophe andeutet, hinter/auf seiner "Stirne".

 

Weiß und Braun sind die Farben, die schon vordeuten auf die Verwesung, das weiße Tier stirbt, die braunen Mädchen werden assoziiert mit dem herbstlichen Laubfall. Die Farbe Blau dagegen steht in einer engen Verbindung mit "Gottes Farben", insofern sie den "Räumen" zugeordnet ist, in denen das Subjekt des Gedichtes sich vor der Verwesung draußen träumend zurückzuziehen scheint, flüsternd.

 

Der antike locus amoenus, der "liebliche Ort", noch bis in die Anakreontik lyrisch stilbildend, wird bei Trakl nach innen gewendet, während der Außenraum von Verfall, Herbst und Sterben umwittert ist, sich dem "locus terribilis" annähert. Doch auch der Innenraum ist in seiner "Milde" affiziert von Traurigkeit und den "sanften Flügeln" des Wahnsinns.

 

Karlheinz Deschner, der erbarmungslose Stilkritiker, umstrittener Autor der "Kriminalgeschichte des Christentums" und Hesse-Verachter, schreibt in "Kitsch, Konvention und Kunst" 1957 über dieses Gedicht, es sei ein"außerordentlich sanftes und einfaches Gedicht, dessen Größe man aber nicht verkennen kann". Er erkennt seine Größe bereits daran, wie in den ersten Zeilen "die Kulisse der Welt mit ein paar Strichen plastisch und voll Atmosphäre vor uns hingestellt" werde.

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