top of page

           MUSIK IM MIRABEL

Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn 
Im klaren Blau, die weißen, zarten. 
Bedächtig stille Menschen gehn 
Am Abend durch den alten Garten.


Der Ahnen Marmor ist ergraut. 
Ein Vogelzug streift in die Weiten. 
Ein Faun mit toten Augen schaut 
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.


Das Laub fällt rot vom alten Baum 
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum 
Und malet trübe Angstgespenster.


Ein weißer Fremdling tritt ins Haus. 
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge. 
Die Magd löscht eine Lampe aus, 
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.

Salzburg_Mirabellgarten_Trakl.jpg

Musikalisch ist nicht nur der Titel, auch die Strophen dieses Gedichtes, Vierzeiler mit umarmenden Reimen, klingen in besonderem Maße. 

 

Inhaltlich begegnen dann jedoch erstaunlich wenige Klänge, "Ein Brunnen singt" und "Das Ohr hört nachts Sonatenklänge". Das war es dann auch schon - allerdings an prominenten Stellen, in der ersten und in der letzten Zeile des Gedichtes. Ansonsten und dazwischen haben wir eher statuarische Genrebilder vor uns, mit festen Pinselstrichen gemalt. "Die Wolken stehn/Im klaren Blau", "Ein Faun mit toten Augen schaut" oder "Ein Feuerschein glüht auf im Raum" können dafür stehen.

 

In "Musik im Mirabell" verbinden sich damit drei Künste, Literatur, Musik und Malerei. Dazu ist auch die dramatische Kunst anwesend, erinnernd an Bühnenstücke des Expressionismus oder frühe Murnau-Filme: "Schatten, die ins Dunkel gleiten", "malet trübe Angstgespenster" oder "Ein weißer Fremdling tritt ins Haus". Die Verschmelzung der Künste wie die Gestaltung von Synästhesien sind Programm bereits im Symbolismus des 19. Jahrhunderts und bestimmen die Kunst zum Beginn des 20. Jahrhunderts in besonderer Weise, wie in den Bildern von Wassily Kandinsky und denen des Kubismus - etwa bei Pablo Picasso, "Frau mit einer Gitarre".

 

"Mirabell" ist ein Schloss bei Salzburg, mit einem Garten, der ganz konkret "der Ahnen Marmor" zeigt. Berühmte Brunnen gibt es im Park auch, den Pegasusbrunnen und den zentralen Springbrunnen mit Figurengruppen zu den vier Elementen Wasser, Luft, Feuer und Erde. Trakls Text nimmt diese lokale Wirklichkeit allerdings nur als Bilderfundus, aus dem er einen kaleidoskopischen Reigen seiner eigenen Imagination gestaltet.

 

Ein eher spielerisches Gedicht, das auch in seinen bedrohlichen Bildern, mit seinen "Angstgespenstern" und "verfallenen Gängen", die beklemmende Düsternis anderer Trakl-Gedichte nur ahnen lässt.

bottom of page